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Skateboarder

Vom Kult zur Kommerz – Wie Action-Sport-Marken ihre Seele an Investoren verloren

Die oft schmerzhafte Geschichte von Action-Sport-Marken wie Quiksilver, Billabong & Volcom. Einst von Ridern für Rider gegründet, kämpfen sie heute zwischen kultureller Authentizität und knallhartem Kommerz. Wie Finanzinvestoren die Szene umkrempelten, die Seele der Marken auf der Strecke blieb und warum Athleten bei Red Bull Events ihr Leben riskieren. Doch es gibt Hoffnung: Neue "Rider-Owned"-Brands die die Szene neu beleben und beweisen, dass Seele mehr zählt als Shareholder Value.

Aufstieg authentischer Marken und der schleichende Werteverfall

Action-Sport-Marken wie Quiksilver, Billabong oder Volcom entstanden einst „von Ridern für Rider“ – geprägt von Surf-, Skate- und Snowboard-Pionieren, die für ihre Szene lebten. Quiksilver zum Beispiel wurde 1970 gegründet, um innovative Boardshorts für Surfer zu produzieren. Billabong begann 1973 mit robusten, dreifach vernähten Shorts im Hinterhof des Surf-Pioniers Gordon Merchant. Solche Marken wurden zu Kultlabels; in den 1980ern und 90ern trugen Pro-Rider stolz ihre Logos, und die Kultur stand im Vordergrund. Quiksilver war 1986 sogar die erste Surf-Firma an der Börse und sponserte legendäre Contests wie „The Eddie“ auf Hawaii. Billabong finanzierte kühne Projekte wie die Odyssey auf der Suche nach der 100-Fuß-Welle. Authentizität war ihr Kapital.

Doch mit dem kommerziellen Erfolg kam schleichend der Werteverfall. Spätestens ab den 2000ern drängten externe Investoren und Großkonzerne in die Surf- und Skatebranche. Surf-Mode wurde vor allem nach dem Hollywood-Film „Blue Crush“ 2002 massenkompatibel – „nach Blue Crush war Surfen hip, unzählige Durchschnittsamerikaner stürmten Einkaufszentren, um den oceanic fashion-Look zu kopieren“. Quiksilvers Umsatz überschritt 2004 erstmals 1 Milliarde US-Dollar und erreichte 2008 sogar 2,5 Mrd. Dollar. Die Kehrseite: Die Marken verloren an Exklusivität und kultureller Reinheit, als sie für den Massenmarkt produziert wurden. Insider sprechen davon, dass Surf- und Skate-Klamotten plötzlich von „Landlubbern“ – Leuten fern der Küste und der Szene – getragen wurden, was den einstigen Kultstatus verwässerte.

Gleichzeitig machten die Gründer den Konzernen Platz. Vans, ursprünglich ein kleiner Skate-Schuhladen in Kalifornien, wurde 2004 vom Bekleidungsgiganten VF Corp (u. a. The North Face) für 396 Mio. Dollar geschluckt. DC Shoes, 1994 von Skateboardern gegründet, landete 2004 für 87 Mio. Dollar bei Quiksilver. Volcom – bekannt für das Anti-Establishment-Credo „Youth Against Establishment“ – verkaufte sich 2011 an den Luxusmode-Konzern Kering (Gucci, Yves Saint Laurent) für stolze 608 Mio. US-Dollar. Ironischerweise gehörte Volcom damit plötzlich selbst zum Establishment. Solche Übernahmen brachten frisches Kapital, aber auch eine neue Priorität: Shareholder Value statt Szenetauglichkeit.

Private-Equity-Käufe: Gewinne über Glaubwürdigkeit

In den 2010er-Jahren gerieten die ehemals boomenden Action-Sport-Größen in wirtschaftliche Schieflage – und Private-Equity-Investoren witterten ihre Chance. Quiksilver hatte sich verhoben: Nach dem Umsatzhöhepunkt 2008 diversifizierte man kopflos. Die Übernahme des Skiherstellers Rossignol für 560 Mio. $ endete 2008 mit einem Verlust von rund 400 Mio. $ beim Wiederverkauf. Hohe Schulden und die Finanzkrise 2008/09 brachten Quiksilver ins Straucheln: 2009 folgten Massenentlassungen, Rating-Abstufungen und schließlich 2015 der Insolvenzantrag (Chapter 11) in den USA. Der kalifornische Surf-Riese war zahlungsunfähig und wurde vom Finanzinvestor Oaktree Capital aufgefangen.

Oaktree – weltweit größter Distressed Debt-Investor – stieg mit 175 Mio. $ ein und übernahm die Mehrheit an Quiksilver. Man formte 2016 eine neue Holding namens Boardriders Inc. für Quiksilver und seine Tochtermarken. Ganz offen verfolgte Oaktree dabei keinen idealistischen Surf-Traum, sondern knallharte Renditeziele: „Oaktrees Philosophie ist simpel – statt auf den nächsten großen Gewinner zu wetten, kauft man etablierte Firmen in Schwierigkeiten, behebt Missstände und erzielt so verlässlich Profit“. Mit anderen Worten: Kurzfristige Wertsteigerung vor langfristiger Kulturpflege.

Ähnlich erging es Billabong, Quiksilvers australischem Erzrivalen. Billabong hatte zwischen 2004 und 2012 seinerseits einen Kaufrausch: Von Skate-Marken wie Element und Plan B bis zum Surf-Equipment-Hersteller Dakine wurde alles geschluckt. Doch 2012 kollabierte das Imperium spektakulär – ein Jahresverlust von 859,5 Mio. AUD (über 600 Mio. €) ließ den Markenwert auf Null sinken. Nur durch Notkredite der Finanzinvestoren Oaktree und Centerbridge (je ~19 % Anteil) entging Billabong 2013 der Pleite. Die Firma war schwer verschuldet und führte jahrelang einen Überlebenskampf; 2017 schrieb sie erneut Verluste.

Schließlich zog Oaktree 2018 die Reißleine und vereinte die beiden gebeutelten Konkurrenten unter seinem Dach: Boardriders (Quiksilver) übernahm Billabong für rund 200 Mio. AUD (nur ca. 130 Mio. €)– ein Schnäppchenpreis für zwei ehemals milliardenschwere Marken. Billabong verlor damit seine Börsennotierung und wurde komplett in die Privatfirma integriert. Oaktree-Manager Dave Tanner – ein branchenfremder Sanierer – übernahm als CEO von Boardriders das Ruder. Offiziell beteuerten Billabongs Manager damals, der Zusammenschluss werde „Authentizität und Tradition der Marken schützen und verbessern“. Inoffiziell war jedoch klar: Nun bestimmten Finanzakteure die Marschrichtung, die mit Surfen wenig am Hut hatten.

Kredite statt Kreativität: Die Fusion wurde über hochverzinste Kredite großer Banken finanziert. Oaktree verdoppelte sein Investment beinahe, ließ sich eigene Darlehen zurückzahlen und schmiedete den größten Surf-Konzern der Geschichte. Doch das Ziel war nie ein kultureller Neuanfang, sondern eine straffe Sanierung, um die Firmen möglichst gewinnbringend weiterzuverkaufen. Ein Insider beschreibt die Haltung nüchtern: „Man versucht einfach herauszufinden, wie man Wachstum generieren kann – nur so kann man die eigene Existenz rechtfertigen“. Alles, was nicht effizient profitabel war, geriet nun aufs Prüfbrett.

Wenn die Seele auf der Strecke bleibt: Qualitäts- und Glaubwürdigkeitsverlust

Mit dem Einstieg der Investoren litten unweigerlich Qualität und Glaubwürdigkeit der Marken. Nach der Quiksilver-Billabong-Fusion folgte die übliche „Integration“: Filialschließungen und Rightsizing – ein Euphemismus für Entlassungen. Hunderte Mitarbeiter verloren ihre Jobs, um Doppelstrukturen abzubauen. Ein interner Rundbrief warnte Angestellte, nicht mit Medien zu sprechen. Dennoch klagten viele anonym über die neue Kultur: Bei Billabong herrsche „seit langem nur noch Angst“. Das Vertrauen in die neuen Chefs war gering – zu offensichtlich war deren fehlende Bindung an die Szene. „Jeder, der ohne Surf-Hintergrund hier reinkommt, hat’s woanders wohl nicht geschafft – sonst wäre er nicht bei uns, sondern bei IBM“, spotte ein Mitarbeiter über die neuen Manager. Die Aussage zeigt die Kluft zwischen der alten Rider-Kultur und den Anzugträgern, die nun das Sagen hatten.

Vor allem Sponsoring und Produktentwicklung bluteten aus. Marketing-Budgets wurden zusammengestrichen, Athletenverträge gekündigt oder zusammengelegt. Boardriders plante etwa, Team-Rider mit Multi-Marken-Deals abzuspeisen – ein Athlet sollte also gleich für Quiksilver und Billabong und DC Shoes werben, aber insgesamt nicht mehr verdienen. Solche Synergien sparen Kosten, bedeuten für die Sportler aber oft niedrigere Gagen und weniger Vielfalt. Das einst stolze Bekenntnis „Support the scene“ wich einer eisigen Kosten-Nutzen-Rechnung.

Auch bei den Produkten bemerken Insider einen Abwärtstrend. Während früher Surfer-Gründer wie Bob Hurley oder Jake Burton persönlich für Innovation und Qualität standen, dominierten nun Controller das Ruder. Quiksilver verlagerte viele Produktionen in Billiglohnländer und setzte auf Massenkollektionen für Outlet-Ketten – was Branchenkenner als Qualitätsabfall deuten. Billabong ging ähnliche Wege; so wurde bekannt, dass man für große Einzelhändler separate, günstigere Kollektionen herstellte, was das Markenimage verwässerte. Ein langjähriger Beobachter der Surf-Industrie kommentierte 2018: „Wenn du im Surfbereich keine eigenständige Brand-Identität hast, hast du nicht viel.“ Doch genau diese Identität ging durch die Gleichmacherei verloren.

Das Ergebnis: Kulturelle Entfremdung. In der Boardsports-Szene gelten Quiksilver und Co. heute vielfach als Sellout-Marken – als ehemals coole Labels, die ihre Seele verkauft haben. Core-Surfer und -Skater, die einst Stammkundschaft waren, wenden sich ab. „Die ganze Geschichte stellt die Existenzberechtigung riesiger ‚Core‘-Surfmarken in Frage“, schrieb das Magazin Stab nach der Quik-Billabong-Fusion. Da echte Surfer weltweit eine kleine Zielgruppe bleiben, müssten solche Marken zwangsläufig Nicht-Surfer begeistern, um zu wachsen – doch indem sie das taten, verloren sie ihren Reiz für die Kernszene. Ein Teufelskreis: Auf dem Höhepunkt ihrer Kommerzialisierung waren die Brands zwar überall präsent, aber genau das zerstörte ihre Street Credibility. Was nützt ein Surf-Logo, das jeder Mall-Shopper trägt und das mit dem eigentlichen Surfen nichts mehr zu tun hat? – „Ein Aufdruck mit Welle auf einem T-Shirt macht noch lange keine Core-Marke“ spottet Stab treffend.

Die wirtschaftlichen Folgen dieses Glaubwürdigkeitsverlusts ließen nicht lange auf sich warten. Quiksilver und Billabong schrieben über Jahre rote Zahlen, und auch nach der Fusion blieb die Erholung aus. 2020–2022 sorgte die Pandemie für weitere Rückschläge im Einzelhandel. Oaktree suchte den schnellen Exit: 2023 wurde Boardriders (mit Quiksilver, Billabong, Roxy, DC, RVCA, Element u. a.) an die nächste Investorengruppe verkauft – an Authentic Brands Group (ABG), einen Konzern, der darauf spezialisiert ist, tradionsreiche Marken aufzukaufen und deren Namen zu lizensieren. ABG besitzt Dutzende Labels von Juicy Couture bis Aéropostale. Für die Surfbranche bedeutete das endgültig den Schritt vom Szenelabel zur bloßen Marke im Markenportfolio.

Kaum ein halbes Jahr nach der Übernahme kam es zum nächsten Tiefschlag: Der ABG-Partner Liberated Brands, der die operativen Geschäfte von Volcom, Quiksilver, Billabong & Co. führen sollte, meldete im Februar 2025 Insolvenz an. Über 1.400 Mitarbeiter wurden entlassen und Läden liquidiert. Grund waren laut Gerichtsdokumenten ausstehende Lizenzgebühren an ABG und ein Schuldenberg von über 226 Mio. $. Das Kapitel Private-Equity endete also in der nächsten Pleite – ein Kreislauf aus Übernahme, Überschuldung, Ausverkauf und erneutem Absturz. Damit bestätigt sich: Wenn die Seele der Marke leidet, leidet auf Dauer auch das Geschäft. Was kurzfristig als Finanzdeal profitabel aussah, führte langfristig zu orientierungslosen Marken, enttäuschten Fans und zerstörter Substanz.

Gefahr um jeden Preis? – Wie Sponsoren Extremsportler antreiben

Nicht nur wirtschaftlich, auch ethisch gerät der Ausverkauf der Action-Sport-Welt in die Kritik. Ein besonders düsteres Kapitel: die Vermarktung immer waghalsiger Extremsport-Stunts, um die Profit- und PR-Maschine am Laufen zu halten. Red Bull – ursprünglich ein Energy-Drink-Hersteller, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten zum größten Förderer (und Vermarkter) extremer Sportarten gemausert hat – steht hier exemplarisch im Fokus. Mit seinem Slogan „Red Bull gibt dir Flügel“ sponsort der Konzern Basejumper, Wingsuit-Flieger, Motocrosser, Big-Wave-Surfer, Freeride-Mountainbiker und andere Adrenalin-Junkies. Die spektakulären Events und Videos sorgen weltweit für Markenpräsenz – doch der Preis kann hoch sein. Auch bei Red Bull sind mittlerweile die Geschäftsleute eingezogen und die „coolen“ Szeneleute im Unternehmen haben sich verabschiedet, bzw. sind rausgeworfen worden. Intern vergleicht sich Red Bull heute mit Coca Cola oder Pepsi. Man investiert in Formel 1 und Fussball Teams, aber pusht leider immer noch die Extremsportler zu ganz besonderen Stunts.

Seit 2007 sind zahlreiche Athleten bei von Red Bull geförderten Aktionen ums Leben gekommen. Bereits 2013 zählte man sieben Todesopfer in Zusammenhang mit Red-Bull-Events. Dazu gehörte etwa der 14-jährige Nachwuchs-Motocrosser Toriano Wilson, der 2008 bei einem Red-Bull-Juniorenrennen überfahren wurde. 2009 verunglückte der Schweizer Basejumper Ueli Gegenschatz tödlich beim Sprung von einem Hochhaus in Zürich – der Wind schleuderte ihn gegen die Fassade. In der Schweiz löste das Entsetzen aus: „Das ist ein unerträgliches Symbol für den Zynismus und die Perversion des Event-Marketings“, schimpfte der Werbefachmann Hermann Strittmatter damals in einem Dokumentarfilm. Strittmatter fand noch deutlichere Worte: „Es ist schändlich und zeugt von Fantasie- und Kreativitätsmangel, wenn einem im Marketing am Ende nichts Besseres einfällt, als Leute ihr Leben riskieren zu lassen.“

Tatsächlich entsteht der Eindruck, dass manche Athleten immer größere Risiken auf sich nehmen, um im Sponsorenrennen zu bestehen. Druck zu immer gefährlicheren Stunts – diese Vorwürfe wurden laut, nachdem etwa der Freeskier Shane McConkey 2009 beim Wing-Suit-Basejump in den Dolomiten ums Leben kam. Red Bull veröffentlichte später einen Film über McConkeys Lebensmotto „You have one life. Live it.“ – für Kritiker fast eine Verhöhnung des tödlichen Unfalls. Auch andere Vorfälle nähren die Kritik: 2013 strahlte der deutsche Sender ARD die Dokumentation „Die dunkle Seite von Red Bull“ aus, in der Insider vor dem „steigenden Blutzoll“ im Extremsport-Marketing warnten.

Ein tragisches Beispiel der letzten Jahre ist der Tod des russischen Basejumpers Valery Rozov. Ich hatte die Ehre Valery als einen der letzten zu interviewen, bevor er starb. Der 52-Jährige – ein Extremathlet mit über 20 Jahren Erfahrung – wollte im November 2017 mit Red Bulls Unterstützung einen neuen Rekord aufstellen: einen Wingsuit-Sprung vom 6.812 Meter hohen Ama Dablam in Nepal. Rozov hatte zuvor spektakuläre Projekte verwirklicht, etwa 2013 den damals höchsten Basejump der Welt vom Mount Everest (7220 m). Am Ama Dablam jedoch ging es schief: Rozov sprang in den Tod – ob eine Windböe oder ein Materialproblem Ursache war, ist unklar. Sein Sponsor Red Bull verkündete offiziell den Unfalltod und würdigte Rozov als visionären Athleten. Doch die ernüchternde Wahrheit bleibt: Ohne den Anreiz, immer neue „Rekorde“ und virale Extrem-Videos zu liefern zu müssen, hätte Rozov dieses Risiko vielleicht nie gesucht. Er meinte damals noch „in unserem Sport sieht es meistens nicht schön aus, wenn ein Unfall passiert“. Valery hinterliess eine Frau und zwei Söhne.

Red Bull weist die Kritik erwartungsgemäß zurück. Man helfe „außergewöhnlichen Menschen, ihre außergewöhnlichen Ziele zu erreichen“ – manche Vorhaben seien nun mal mit höheren Risiken verbunden, so Red Bull in einem Statement. Freilich verschweigt diese Argumentation, dass der Konzern von genau diesen riskanten Rekorden enorm profitiert. Professor Norbert Bolz, Kommunikationswissenschaftler, kommentierte Red Bulls Strategie so: „Niemand sonst traut sich, gefährliches Leben derart zum Programm zu erheben“. Der Extremismus wird zum Markenkern, solange er die Kasse klingeln lässt.

Auch jenseits von Red Bull gibt es bedenkliche Entwicklungen. Viele Action-Sportler fühlen sich gezwungen, immer härtere Leistungen abzuliefern, um Sponsorenverträge zu bekommen. Bei Events wie der Freestyle-Motocross-Serie oder dem Freeride-Mountainbike-Contest Red Bull Rampage verletzen sich Athleten regelmäßig schwer. 2015 zog sich der Mountainbiker Paul Basagoitia bei der Rampage einen Wirbelsäulenbruch zu und war zeitweise querschnittsgelähmt – er hatte trotz eines Sturzes versucht, weiterzufahren, um seinen Sponsor nicht zu enttäuschen. Solche Vorfälle werfen Fragen auf: Wird hier fahrlässig mit Menschenleben und -gesundheit gespielt, um spektakuläre Bilder zu liefern?

Die ethische Verantwortung der Marken gerät ins Visier. Ein bezeichnender Gegensatz: Während Red Bull Milliarden in Extremsport-Marketing steckt, schlug kürzlich der Gründer der Outdoor-Marke Patagonia, Yvon Chouinard, einen völlig anderen Weg ein. Er übertrug 2022 sein Unternehmen an eine Umwelt-Stiftung – mit dem Motto: „Die Erde ist jetzt unser einziger Aktionär.“ Damit verzichtet Patagonia bewusst auf maximale Profite, um seine Werte zu bewahren: „Wir mussten einen Weg finden, mehr Geld in den Kampf gegen die Krise zu stecken und zugleich die Werte der Firma intakt zu halten“. Dieser Schritt eines Szenepioniers zeigt, dass es auch anders geht – Verantwortung über Rendite – während Red Bull & Co. nach wie vor Events veranstalten, bei denen „bei praktisch jedem Event dieses Milliardenkonzerns mit Menschenleben gehandelt wird“, wie es ein Schweizer Medienbericht pointiert formulierte.

Gegenbewegungen: Zurück zu Authentizität und Ethik

Angesichts des kommerziellen und kulturellen Abstiegs der großen Marken formieren sich zunehmend Gegenbewegungen. Ehemalige Brancheninsider und Athleten gründen neue, unabhängige Labels, die bewusst gegen den Investorenstrom schwimmen. Ein Beispiel ist Vissla, eine Surfmarke, die 2013 von Paul Naude ins Leben gerufen wurde – dem früheren Präsidenten von Billabong USA. Frustriert vom „Corporate“-Kurs bei Billabong wollte Naude „zu den Wurzeln zurück“. Vissla konzentriert sich ausschließlich auf Surfen, nicht auf breitgefächerte Lifestyle-Mode, und setzt auf ein Kollektiv aus jungen Surfern, Shapern und Künstlern. „Das Label soll ein modernes Abbild der frühen Surf-Ära sein, als Marken von echten Surfern gegründet, getragen und geliebt wurden“, so beschreibt Naude die Mission. Und der Erfolg gibt ihm Recht: Binnen weniger Jahre wuchs Vissla vom Nischen-Startup zu einer festen Größe der Surf-Industrie – offenbar haben viele Konsumenten genug vom Einheitsbrei der Großkonzerne und suchen wieder das Echte.

Ähnlich schlägt Patagonia als etablierte Outdoor-/Surfmarke einen authentischen Kurs. Gründer Chouinard, selbst Kletterer und Surfer der ersten Generation, blieb zeitlebens dem Ideal treu, Purpose vor Profit zu stellen. Patagonia engagiert sich stark für Umweltschutz, und indem Chouinard die Firma faktisch verschenkte, entzieht er sie endgültig den Klauen kurzfristiger Shareholder-Interessen. Auch Burton Snowboards, gegründet 1977 von Jake Burton Carpenter, ist bis heute in Familienbesitz und wurde jüngst als B-Corporation für nachhaltiges, gemeinwohlorientiertes Wirtschaften zertifiziert. Zwar ist Burton ein Großunternehmen geblieben, aber es muss keinen externen Aktionären Rechenschaft ablegen – ein Modell, das eine Balance zwischen Größe und Authentizität erlaubt.

In der Skateboard-Welt erleben kleine, rider-owned Brands ein Revival. Skate-Schuhfirmen wie Lakai oder Etnies werben offensiv damit, unabhängig von den Sportartikel-Multis zu sein, und finden Zuspruch bei Skatern, die Nike und Adidas in der Szene skeptisch sehen. Lakai – Owned and Operated by Skateboarders lautet ihr Slogan. Ebenso haben Skateboard-Hersteller wie Girl, Anti-Hero oder Baker ihre Wurzeln nie an Konzerne verkauft – und behalten dadurch in der Kernszene eine Glaubwürdigkeit, von der die Mallsport-Marken nur träumen können. Zwar sind diese unabhängigen Firmen finanziell kleiner, aber sie wachsen organisch mit einer treuen Anhängerschaft, der Core mehr bedeutet als das schnelle Wachstum.

Selbst ehemalige Größen der Szene kehren zurück: Bob Hurley, der 1999 seine Firma Hurley an Nike verkaufte (und miterleben musste, wie Nike sie 2019 an einen Investor weiterreichte), investiert nun in neue Surfmarken wie Florence Marine X (gegründet vom Surfstar John John Florence) und IPD. Zusammen mit Vissla-Gründer Paul Naude schmiedete Hurley jüngst eine Allianz, um diese unabhängigen Labels gemeinsam zu stärken. Hier bündelt sich enormes Know-how der „alten Schule“, um eine Alternative zum Diktat der Großinvestoren zu bieten.

Branchenkenner beobachten, dass viele dieser kleinen Brands direkt aus der Asche der Großen entstanden: „All die kleinen Marken – die Hälfte von ihnen würde es gar nicht geben, hätten die Big Brands nicht zuvor existiert… Die Surf-Landschaft ist dadurch wahrscheinlich besser geworden“, meint ein Insider, der jahrelang für einen Großkonzern arbeitete. Tatsächlich sind etliche Gründer neuer Labels ehemalige Mitarbeiter oder Teamrider von Quik, Billabong & Co., die nach den Übernahmen ihr eigenes Ding starteten. Ironie der Geschichte: Die Fehler der Platzhirsche befeuern nun eine Rückbesinnung auf Authentizität. Die „Big Players“ haben ihren Zenit überschritten – und an ihrer Stelle gedeiht ein vielfältigeres Ökosystem aus kleineren, glaubwürdigeren Marken.

Und jetzt?

Der Niedergang ehemals authentischer Action-Sport-Marken ist ein vielschichtiges Lehrstück. Er zeigt, wie übermäßige Kommerzialisierung – befeuert durch Private Equity, Börsendruck und Konzernübernahmen – nicht nur wirtschaftlich riskant ist, sondern auch kulturell verheerende Folgen haben kann. Quiksilver, Billabong, Volcom, Vans, DC, sogar ein Gigant wie Red Bull – sie alle liefen Gefahr (bzw. laufen Gefahr), die Werte zu verraten, auf denen ihr Ruhm gründete: Qualität, Glaubwürdigkeit, Soul. Kurzfristige Gewinne und Wachstum um jeden Preis erwiesen sich als trügerisch: Am Ende standen Insolvenzen, Notverkäufe und eine entfremdete Kernkundschaft.

Doch die Geschichte endet nicht in Zynismus. Gegenbewegungen in der Surf-, Skate- und Snowboard-Welt zeigen, dass es Alternativen gibt. Marken, die ihren Gründungsgeist bewahren oder neu entfachen – sei es durch Unabhängigkeit, nachhaltiges Wirtschaften oder echten Respekt vor den Athleten – gewinnen wieder an Credibility. Sie mögen auf dem Papier kleiner sein, doch sie erfüllen eine wichtige Rolle: Sie halten die Fackel der Authentizität hoch.

Für uns Konsumenten und Fans bedeutet das eine Aufforderung zur kritischen Auseinandersetzung: Unterstützen wir diejenigen Unternehmen, die ihre Athleten fair behandeln, die Umwelt respektieren und die Kultur ehrlich leben – anstatt jene, die für den nächsten Quartalsbericht alles aufs Spiel setzen. Die Action-Sport-Welt ist umso reicher, je mehr Seele in ihren Marken steckt. Und letztlich entscheiden wir als Szene, wem wir unsere Loyalität schenken. Denn die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte lehrt: Verkauft eine Marke ihre Seele, folgt früher oder später der Absturz – wirtschaftlich, kulturell und ethisch.

Ich persönlich trinke heute kaum noch Red Bull. The North Face habe ich gleich nach der Übernahme des neuen Investors und dem damit gekommenen Qualitätsverlust in den Wind geschossen. Heute verabschiede ich mich von Volcom. Ich werde meine alten Volcom Klamotten noch weitertragen, aber keine mehr kaufen, sondern mein Geld dort „anlegen“, wo mein Sport, meine Sub-Kultur, die Natur und das Individuum noch respektiert wird.

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