Man steckt den Kopf in den Sand

Gewalt an der Grundschule Schrobenhausener Strasse

Nachdem wir aus Russland nach München gezogen sind, stand meine Tochter Charlotte vor der Herausforderung, sich in einer neuen Schule einzuleben. Schnell wurden wir mit den Problemen konfrontiert, die ein multikulturelles Schulumfeld mit sich bringen kann. Gewalt unter Schülern und mangelnde Unterstützung seitens der Schule prägten unseren Alltag. In diesem Artikel teile ich unsere Erfahrungen und beleuchte die dringende Notwendigkeit für effektive Präventionsmaßnahmen und ein stärkeres Engagement aller Beteiligten.

Wir landen in Frankfurt. Es sind noch knapp zwei Tage bis zum Schulanfang. Es gibt nicht genug Gepäckwägen und keinen funktionierenden Aufzug hinunter zu den Mietwagen. Ich schleppe drei schwere Koffer und drei Hundeboxen nach 36 Stunden Reise via Katar durch den Zoll und wir machen uns auf den Weg nach München. Es regnet in Strömen. Willkommen „daheim“, denke ich, als ich mich durch den Platzregen in der Dunkelheit nach München kämpfe. Dort kommen wir um zwei Uhr nachts mit Verspätung an und schlafen erst mal bei meinem Neffen, denn unsere Wohnung ist noch leer.

Zwei Tage später bringe ich meine Tochter Charlotte zu ihrer neuen Schule. Sie ist bis jetzt in Moskau aufgewachsen und hat dort einen russischen Kindergarten und eine russische Schule besucht, bevor wir das Land wegen des Krieges und der anhaltenden Propaganda und Indoktrination verlassen haben, die nun auch in der russischen Schule meiner Tochter stattfand. Meine russische Ex-Frau Liza ist mit nach München gekommen und lässt es sich nicht nehmen, am ersten Schultag in Deutschland dabei zu sein. Sie war vorher immer nur zu Besuch mit mir in Deutschland und liebt München. Deswegen sind wir nun hier, denn sie wollte unbedingt nach München, und ich bin froh, dass sie mitgekommen ist, damit meine Tochter in meiner Nähe ist.

Charlotte startet in Deutschland in der 3. Klasse. Ich habe immer darauf geachtet, dass Charlotte gut Deutsch spricht, aber das Schreiben und Lesen leider vernachlässigt, denn ich hätte nicht im Traum erwartet, dass wir Russland irgendwann verlassen müssen. Moskau war unser Zuhause, und es hat uns dort gefallen. Charlottes russische Familie lebte dort. In München haben wir nun eine Wohnung in Laim bekommen. Das Viertel ist bekannt dafür, na sagen wir mal, multikulturell zu sein. Es gibt auch soziale Spannungen, gerade zwischen den alteingesessenen Deutschen, die sich nun mit Asylheimen und Flüchtlingen aus aller Welt auseinandersetzen müssen, aber auch mit Yuppies, die mit der schleichenden Gentrifizierung des Viertels kommen.

Charlotte ist am ersten Schultag aufgeregt und neugierig auf ihre neue Schule. Sie geht nun auf die Grundschule in der Schrobenhausener Straße. Von außen sieht das Gebäude modern aus. Am Eingang herrscht geschäftiges Treiben. Charlotte geht hinein, und wir machen uns auf den Rückweg. „Oha!“, sage ich zu Liza im Slang der Kids hier. „Das wird Probleme geben.“ „Warum?“, fragt Liza zurück. „Hast du gesehen, wie viele Ausländer auf diese Schule gehen? Ich schätze, 80 % der Schüler sind Immigranten.“

Hier mein Disclaimer: Ich bin kein Nazi und stehe nicht rechts. Meine Freunde werfen mir eher vor, „viel zu liberal“ zu sein. Trotzdem habe ich drei Tage nach unserer Ankunft verstanden, dass wir in einem sogenannten „Hotspot“ leben und meine Tochter auf eine Problemschule gehen muss.

Erinnern wir uns: In Deutschland gilt das Schulsprengel-System. Dein Kind muss in die Schule gehen, die in deinem „Sprengel“ liegt, und kann nur in Ausnahmefällen auf eine andere Schule wechseln, wenn es gute Gründe dafür gibt und die Schule Platz hat, was in der Regel nicht der Fall ist. Außer man gehört zur privilegierten Klasse, die sich eine Privatschule mit einem Schulgeld von 500 bis 1.500 Euro und mehr im Monat leisten kann. Wir sind mit drei Koffern à 32 Kilo in Deutschland angekommen, und ich stehe vor einer leeren Wohnung, die nicht billig ist und für die ich noch drei Monatsmieten Kaution zahlen muss.

„Warum soll das ein Problem sein?“, fragt Liza. „Dass 80 % der Schüler Ausländer sind. Charlotte ist ja auch, zumindest zur Hälfte, Russin.“ „Ich denke, dass es an der Schule interkulturelle Spannungen gibt, aber ich weiß es natürlich nicht“, antworte ich Liza. Sie ist guter Dinge, schließlich sind wir in Deutschland und nicht in Russland. Das klingt schon fast sarkastisch, aber sie meint das wirklich so. Liza kennt Deutschland nur von unseren Kurztrips im Sommer auf der Durchreise nach Spanien oder Italien oder eben für ein paar Tage, um Weihnachten bei meiner deutschen Familie zu verbringen.

Die ersten Tage laufen in der Grundschule in der Schrobenhausener Straße gut. Charlotte fühlt sich wohl. Der Unterricht und das System sind so viel besser und freier als die Schule in Russland, auf die sie vorher gegangen ist. Charlotte macht auch die ersten Freunde, und ihre neue beste Freundin ist ein Mädchen aus Syrien, die mit ihrer Familie im Flüchtlingsheim gleich neben uns wohnt. Charlotte liebt ihre neue Lehrerin. Sie sei so jung und cool.

Doch nach sechs Wochen kommt Charlotte mit blauen Flecken nach Hause. Ich frage, was los ist, und sie erzählt mir von Malek, einem Jungen aus Afghanistan, der an ADHS leidet und die ganze Klasse terrorisiert. Malek stört aktiv den Unterricht, beleidigt die Lehrerin und drangsaliert andere Kinder. Nun hat er Charlotte, die Neue, im Visier. Malek hat Charlotte in der Pause angegriffen und sie mit Tritten attackiert.

„Wieso wehrst du dich denn nicht?“, frage ich Charlotte. „Du musst dir das doch nicht gefallen lassen. Hau zurück!“ Ich habe meiner Tochter schon früh beigebracht, sich zu wehren. Sie soll kein Opfer sein, sondern eine starke Frau, die sich zur Wehr setzen kann. Charlotte hat auch in Russland eine Weile Ju-Jitsu-Training besucht, und ich habe ihr die Grundlagen aus meinen Kampfsporterfahrungen aus meiner Zeit in der Bereitschaftspolizei vermittelt. Doch Charlotte will sich nicht wehren. Sie denkt, dass sie als Neue in der Klasse den Ball flachhalten muss. Außerdem glaubt sie, dass sie die Lieblingsschülerin der Klassenleiterin ist und will sie nicht enttäuschen. In den nächsten Wochen kommt Charlotte immer wieder mit blauen Flecken und Malek-Geschichten nach Hause. Sie will sich aber partout nicht gegen Malek durchsetzen, egal wie ich auf sie einrede.

Ich bin Klassenelternsprecher und nutze ein Telefonat mit der Klassenlehrerin in einer anderen Sache, um das Problem Malek anzusprechen. „Ja“, meint sie, „ich habe gesehen, dass Malek Charlotte auf dem Kieker hat.“ Ich habe ihr erzählt, dass Charlotte mit blauen Flecken nach Hause kommt, und bekomme nicht die Antworten, die ich erwarte, sondern eher eine Art Hilflosigkeit und Resignation von der jungen Lehrerin.

„Na ja“, füge ich hinzu, „ich sage meiner Tochter nun schon seit Wochen, dass sie sich Malek entgegenstellen muss und ihm eine auf die Schnauze hauen soll (entschuldigen Sie meine Sprache), aber sie tut es nicht, weil sie denkt, dass sie eine Ihrer Lieblingsschülerinnen ist und Sie nicht enttäuschen will“, sage ich zur Lehrerin. Diese antwortet, dass das vielleicht gar keine schlechte Idee ist. „Wenn Malek einmal Feedback bekommt und noch dazu von einem Mädchen.“ Ich bin von dieser Antwort überrascht, wenn nicht sogar enttäuscht, und empfinde sie als Armutszeugnis. Die Schule schafft es also nicht, meine Tochter zu schützen und ein „normales“, ruhiges und sicheres Umfeld für den Unterricht zu schaffen.

Danach rede ich zwei Wochen lang auf Charlotte ein. Ich kann ihr natürlich nicht sagen, dass sie nun einen Freifahrtschein von ihrer Lehrerin hat, um Malek zu verprügeln, aber ich ermutige sie, sich Maleks Gewalt nicht mehr bieten zu lassen. Doch Charlotte kommt nicht in die Gänge. Sie ist verunsichert, will es sich nicht mit ihren Mitschülern und den Lehrern verscherzen. Sie leidet und erzählt immer wieder, wie Malek sie ständig belästigt und auf sie losgeht. Ich leide mit und beschließe, die Eltern zu kontaktieren. Vielleicht schalte ich das Jugendamt ein. Bei einem weiteren Anruf bei der Lehrerin will ich das mit ihr besprechen, doch sie sagt mir, dass Malek bereits vom Schulpsychologen und der Schulsozialarbeit betreut wird und ich mich da raushalten soll. „Raushalten? Der Junge schlägt seit Wochen meine Tochter!“ Wo kommt diese Gewalt her? Was treibt den Jungen? Vielleicht gibt es bei ihm zu Hause häusliche Gewalt? Fragen, die die Schule mir nicht beantworten will. Ich soll mich raushalten.

Ein paar Tage später grinst Charlotte, als ich sie von der Schule abhole. Sie erzählt mir, wie Malek sie in der Pause wieder einmal schlagen wollte und sie ihm nun endlich mit einem gezielten Faustschlag auf die Nase umgehauen hat. Malek liegt am Boden und heult. Die Lehrer haben es nicht gesehen oder mit Absicht mal wieder weggesehen, denn es gibt keinerlei Konsequenzen für Charlotte, obwohl Maleks Nase blutet. Ich höre, wie die Klassenkameraden, die hinter uns herlaufen, sich über Charlotte unterhalten. „Hast du gesehen, wie Charlotte zurückgehauen hat? Malek lag am Boden und hat geheult. Irre, dass mal jemand etwas gegen Malek gemacht hat.“ Charlotte sieht mich an und grinst. Ich nicke und bin stolz auf meine Tochter. Gewalt ist natürlich keine Lösung, aber auch der Staat muss Zwang anwenden, wenn der Bürger über die Stränge schlägt. Das habe ich während meiner Zeit bei der Bundespolizei gelernt. Deine demokratischen Freiheiten hören dort auf, wo sie zur Belastung für die anderen in der Gemeinschaft werden und deren Rechte und Freiheiten einschränken.

In den Tagen danach sorge ich mich. Es wird für Charlotte Konsequenzen geben. Ich erwarte einen Verweis, einen Anruf von der Schule und von Maleks Eltern. Außerdem wird Malek sicher Rachegedanken haben. Die ganze Klasse, ja die ganze Schule hat gesehen, wie Charlotte ihn geschlagen hat. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen.

Ich rede auf dem Weg zur Schule mit Charlotte und versuche, sie darauf vorzubereiten, was nun kommen könnte. Doch es kommt nichts. Gar nichts. Kein Anruf von der Schule, nichts von Maleks Eltern, und Malek macht nun einen großen Bogen um Charlotte. Seltsamerweise bleibt das auch so, bis ich Monate später beim Halbjahresgespräch auf Charlottes Lehrerin treffe. Sie gibt Charlotte die Noten und sagt am Ende des Gesprächs zu ihr, dass Gewalt keine Lösung von Problemen mit Mitschülern ist, schaut dabei mich an und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ich bin verwirrt. Irgendwie stolz auf meine Tochter, aber irgendwie hätte es doch gar nicht so weit kommen dürfen. Dass es keine Konsequenzen für Charlotte gab, finde ich ebenfalls seltsam.

Der Rest des Schuljahres verläuft ruhig. Malek geht Charlotte aus dem Weg, und wenn er es doch mal probiert, dann reicht eine verbale Attacke, um ihn wieder daran zu erinnern, was passiert, wenn er nicht auf Abstand geht. Bis drei Wochen vor Beginn der großen Ferien. Ich sitze zu Hause im Homeoffice und arbeite, als ich gegen 10:30 Uhr einen Anruf der Klassenleiterin bekomme, mit der Bitte, Charlotte von der Schule abzuholen. Es habe einen Vorfall gegeben, und Charlotte klage über Schmerzen. Ich solle sie besser zum Arzt bringen und untersuchen lassen. Oh je, jetzt kam doch noch Maleks späte Rache, denke ich, als ich zur Schule eile.

Am Eingang bringen zwei Freundinnen Charlotte heraus. Sie humpelt, hat eine zerrissene Hose und hält sich die Rippen vor Schmerzen. „Was ist passiert?“, frage ich. „Hat Malek dich geschlagen?“ Doch es war viel schlimmer. In der Pause gab es Streit auf dem Schulhof um eine Tüte „Takis“. Das typische Geplänkel zwischen einer Gruppe Mädchen und Jungs. Doch irgendwie eskaliert der Streit, und am Ende geht eine Gruppe Jungs, ebenfalls aus der 3. Klasse im Alter von 9 bis 10 Jahren, auf Charlotte los. Vier Jungs schlagen sie, ziehen sie an den Haaren, und als sie weinend auf dem Boden liegt, treten zwei der Jungs noch auf sie ein. In die Rippen. Ein Fünfter steht daneben und schreit auf meine Tochter ein. Schließlich kommt Charlottes syrische Freundin ihr zur Hilfe und wird danach ebenfalls verprügelt. Malek war dieses Mal nicht dabei.

Wir gehen nach Hause, und ich untersuche Charlotte. Sie hat Schmerzen. Das Knie ist blutig. Die Rippen tun weh. „Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?“, frage ich. Doch meine Tochter schüttelt still den Kopf. Ich rede mit ihr und versuche, so viele Details wie möglich herauszubekommen. Was war der Auslöser? Wer hat mitgemacht? Wer waren die beiden Jungs, die am Ende nicht aufgehört und nachgetreten haben? Wo war die Pausenaufsicht? Wie hat sich die Klassenleiterin verhalten? Ich rufe die Lehrerin an, um ihre Version der Geschichte zu hören, doch sie hat nichts gesehen und spielt den Vorfall herunter. Die Kollegen haben auch nichts gesehen. Die Pausenaufsicht war mit einem anderen Konflikt beschäftigt.

Dann rufe ich die syrische Freundin an, um deren Version zu hören. Diese ist fast deckungsgleich mit den Aussagen Charlottes. Danach mache ich einen Post im Klassenchat: Wer sind die Eltern von Alex, Mohammed, Gabriel, Luca und Ali? Der Vater von Alex meldet sich. Ich bin überrascht, als ich – mit diesem Namen – einen irakischen Araber am Telefon habe, der aber Verständnis zeigt und mir sagt, dass er mit seinem Sohn sprechen und ihn maßregeln wird. Bei Mohammed, einem irakischen Kurden, sieht die Sache anders aus. Es meldet sich seine Betreuerin aus dem Flüchtlingsheim, eine Deutsche mit Doktortitel. Sie spielt den Vorfall herunter, sagt mir, dass ich mich nicht einmischen soll und dass es im Heim schon genug Spannungen gibt, gerade zwischen syrischen Arabern und Kurden. Dass es schon ein Problem mit dem Vater von Charlottes syrischer Freundin und den Kurden gab und man jetzt nicht noch mehr Benzin ins Feuer gießen dürfe.

„Nicht einmischen?“, frage ich sie. „Es geht hier um meine Tochter, die von vier Jungs verprügelt worden ist und noch getreten wurde, als sie weinend am Boden lag.“ Diplomatisch, aber bestimmt gibt sie mir zu verstehen, dass ich mich zurückhalten soll. Ich schüttle vor Unverständnis nur den Kopf.

Via WhatsApp schreibe ich dem Vater von Charlottes syrischer Freundin. Ich nutze KI, um das Ganze auf Arabisch zu übersetzen, damit er mich auch versteht, denn sein Deutsch ist sehr schlecht. Ich erzähle ihm von dem Vorfall und dass auch seine Tochter geschlagen worden ist. Zwei der Kinder aus dem Flüchtlingsheim haben mitgemacht. Einer davon aktiv, der andere stand daneben. Ich bitte ihn, mit den Eltern und den Kindern zu reden, und schließe mit dem Satz ab, dass er ja wisse, was er zu tun habe. Er kenne die Kultur besser als ich.

Danach bekomme ich einen Rückruf vom Vater von Alex, dem irakischen Araber. Er habe mit seinem Sohn gesprochen, und der hat den Vorfall bestätigt, aber er sei nicht dabei gewesen und habe nur zugesehen. Echt jetzt? Und das glaubst du ihm? Meine Tochter sagt, er war aktiv dabei! „Nein, so etwas macht sein Sohn nicht. Er ist gut erzogen, und überhaupt will man sich in Deutschland anpassen und achtet darauf, dass so etwas nicht passieren kann.“

Es ist aber passiert. „Dein Sohn hat meine Tochter mit der Faust ins Gesicht geschlagen und sie an den Haaren gezogen.“ „Nein, das muss deine Tochter falsch gesehen oder erlebt haben. So etwas macht mein Sohn nicht.“ Ich lege das Telefon auf und schüttle abermals den Kopf.

Danach habe ich wieder ein Telefonat mit der Klassenleiterin. Wie soll es nun weitergehen? Ich denke, meine Tochter hat nun Angst davor, in die Schule zu gehen. Was wird mit den Tätern passieren? Wie werden sie gemaßregelt? Werden ihre Eltern informiert? Ich werde mit Bla-Bla hingehalten und verstehe zwischen den Zeilen wieder einmal, dass ich mich in die schulinternen Belange nicht einzumischen habe. Ja, aber es geht doch um meine Tochter, die von fünf Jungs attackiert und von vier geschlagen und getreten wurde. „Die Schule regelt das schon. Ich soll mir keine Sorgen machen. Charlotte soll erst mal ein paar Tage daheim bleiben und dann wieder in die Schule kommen, wenn sie so weit ist. Dann wird die Sache vom Schulsozialarbeiter übernommen und mit allen Beteiligten besprochen.“

Das Ganze reicht mir nicht, und ich finde das Verhalten der Klassenleiterin sowie der Schulleitung nicht richtig. Irgendwie habe ich mehr erwartet, und es sieht für mich im Moment so aus, als solle die Sache so schnell wie möglich ad acta gelegt werden. Es ist doch alles nicht so schlimm, und ich soll aus einer Mücke keinen Elefanten machen.

Ich werde auch in Gesprächen öfter daran erinnert, dass ich als Vater eventuell überreagiere, die Kirche mal im Dorf lassen und mich beruhigen soll. „Bitte? Ein Mädchen wird auf dem Schulhof von vier Jungs geschlagen, liegt heulend am Boden und wird dann noch in die Rippen und den Kopf getreten? Ist das eure Realität? Ich soll nun den Ball flachhalten?“

Einen Teufel werde ich tun. Und nicht (nur), weil es um meine Tochter geht, sondern weil es so nicht weitergehen kann. Was passiert als Nächstes unter der Pausenaufsicht? Ein Kind sticht ein anderes mit einem Messer ab? Ich habe keine Ahnung, ob man in der Schule schon resigniert hat, zu faul oder einfach unfähig ist, mit der Sache richtig umzugehen, aber mein Frustrationslevel steigt stetig.

Am nächsten Morgen klagt Charlotte über starke Schmerzen in der Nierengegend und beim Wasserlassen. Es bleibt keine Wahl, als zum Doktor zu gehen. Als wir das Zimmer betreten, entschuldige ich mich dafür, dass wir ihm wegen so einer Sache die Zeit stehlen müssen, aber bei derartigen Schmerzen müssen wir das abklären. Unser Kinderarzt aus dem Viertel hat mehr als Verständnis. Er redet mit Charlotte und baut sie wieder auf, gibt ihr und mir Rückhalt und Bestätigung. Er rät mir, die Eltern und die Kinder direkt anzusprechen. Er kenne die Schule, und es sei nicht der erste Vorfall dort. Ich solle den Eltern und der Schule mit der Polizei drohen.

„Aber die Kids sind doch noch unter 14 und nicht strafmündig“, entgegne ich. „Trotzdem“, rät er mir. „Sagen Sie ihnen, dass Sie das nächste Mal die Polizei einschalten und Strafantrag stellen.“

Die gute Nachricht ist, dass Charlotte keinen Bruch hat und die Nieren anscheinend nur geprellt sind und es keine bleibenden Schäden geben wird. Ich lasse trotzdem alles protokollieren. Wer weiß, wofür ich den Nachweis später noch einmal brauche.

Daheim angekommen, rede ich mit verschiedenen Schulleitern und Lehrern und lasse mich beraten, wie ich mit der Sache weiterhin umgehen soll. Ich arbeite seit Jahren im Marketing von zwei deutschen Schulen im Ausland und habe deswegen auch viele Lehrer und Schulsozialarbeiter in meinem Netzwerk.

Danach schreibe ich eine bestimmte, aber sachliche E-Mail an die Schulleitung und die übergeordnete Schulbehörde mit der Schilderung des Vorfalls und einigen Fragen. Fragen, die ich auch schon der Klassenleiterin gestellt habe und auf die ich keine Antworten bekommen habe. Sind die Eltern der Täter informiert worden? Welche disziplinarischen Konsequenzen wird es für die Kinder geben? Wo war die Pausenaufsicht? Wie werden solche Vorfälle an der Schule generell behandelt? Was wird man in Sachen Prävention machen? Diese und weitere Fragen. Mein Text ist sachlich und bestimmt. Ich versuche, die Emotionen herauszulassen. Es geht mir natürlich in erster Linie darum, dass die Täter bestraft werden und meine Tochter sieht, dass deren Handeln Folgen hat. Es geht mir auch um die weitere Sicherheit meiner Tochter in der Schule. Aber es geht auch generell um das Thema Gewalt an der Schule. An dieser „bunten“ multikulturellen Schule. Wo kommt die Gewalt her? Wie kann man sie bekämpfen und verhindern, dass andere Kinder leiden, so wie meine Tochter, oder noch Schlimmeres passiert?

Vorweg: Ich bekomme sechs Wochen später am Ende der Ferien eine nichtssagende Antwort von der Schulbehörde mit dem Hinweis, dass ich die Sache gar nicht weiter verfolgen soll, weil die zuständige Vorgesetzte (sie schrieb die E-Mail) nach oben befördert wurde und es noch keinen Nachfolger gibt, der die Sache bearbeiten kann. Ich habe es schon mal gesagt, aber „Echt jetzt?“. Auf meine Fragen wird, wenn überhaupt, nur oberflächlich eingegangen. Größtenteils werden sie gar nicht beantwortet. Und natürlich kommt wieder der Standardsatz, den ich schon kenne: Die Schule und die Schulbehörde haben das im Griff. „Wir arbeiten mit der Schulsozialarbeit daran, und Sie sollen sich nicht einmischen.“ Hm…

Ich beschließe, die Sache nun selbst in die Hand zu nehmen. An die Eltern komme ich entweder nicht ran oder sie geben mir nicht zufriedenstellende Antworten. Also muss ich mit den Kindern reden. Charlotte erzählt mir, dass alle Beteiligten, auch sie, von der Schulleitung zu einem Gespräch eingeladen wurden und dort einen Verweis bekamen. Charlotte hätte auch fast einen Verweis bekommen, weil sie provoziert haben soll. Am Ende entschied man sich jedoch dafür, davon abzusehen. Sie wurde aber mündlich verwarnt. Damit ist die Sache für die Schule abgeschlossen, meint die Klassenleiterin im Gespräch. Der Schulsozialarbeiter wird sich der Sache noch annehmen. Wenn er die Zeit findet, und überhaupt sind ja in zwei Wochen Ferien. Ich zucke mit den Schultern und frage mich in diesem Moment, ob ich die Sache vielleicht übertreibe. Irgendwie sind alle anderen Beteiligten lethargisch und nicht wirklich motiviert, die Sache aufzuarbeiten, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Die Eltern stecken den Kopf in den Sand und glauben nicht, dass ihre Kinder zu so etwas fähig sind. Vielleicht hat Charlotte ja wirklich provoziert. Vielleicht hat sie mit ihren Schilderungen übertrieben? Es ist gut, mal tief durchzuatmen und zu reflektieren.

Nein! Charlotte hat nicht übertrieben. Ihre Freundinnen bestätigen den Vorfall genau so, wie Charlotte ihn geschildert hat. Und ja, sie hat provoziert. Meine Tochter kann reden und sich durchsetzen. Das kam bei den Jungs nicht gut an, und als sie keine Worte mehr hatten, haben sie zugeschlagen. In einer Wut, die ihresgleichen sucht. Sie haben mit den Fäusten geschlagen, an den Haaren gezogen, getreten, und als die Kleine hilflos am Boden lag, haben zwei von ihnen noch weiter auf den Kopf und in die Rippen getreten. Lange, nicht nur kurz. Die Rippen- und Nierenprellungen sowie die Kratzer und blauen Flecken kommen auch nicht von nirgendwo. Fünf Jungs gegen ein Mädchen. Vier davon haben Gewalt eingesetzt, der Fünfte war nur verbal dabei. Die anderen haben weggesehen. So wie die Pausenaufsicht.

Als ich nach einem Besuch bei uns wieder einmal Charlottes syrische Freundin zurück in ihr Heim bringe, zeigt mir Charlotte zwei der Jungs, die dabei waren: Mohammed, der Kurde, und Ali, ein syrischer Araber, der nur verbal mitgemacht hat. Ich koche innerlich vor Wut, reiße mich aber zusammen und spreche die beiden ruhig an. Beide meinen, dass sie gar nicht dabei waren. Charlotte steht neben mir. Als ich nicht nachgebe, sagen sie, dass sie danebenstanden und zugesehen haben. Dass Charlotte provoziert hätte. Im Flüchtlingsheim gehen die Fenster auf, und Männer treten auf die außen liegenden Treppen, um nach dem Rechten zu sehen. „Was macht der Deutsche da mit unseren Kindern?“

Ich rede ruhig weiter. Ich frage die beiden Jungs, ob es in ihrer Kultur normal ist, Frauen nicht zu respektieren. Sie zu schlagen. Die Jungs werden ruhig und zucken mit den Schultern. Ich sage zu Mohammed, dem Kurden, dass ich weiß, welchen Stellenwert Frauen in ihrer Kultur haben und dass Frauen gerade in der YPG eine starke und mutige Rolle im Kampf gegen den IS spielen. Ist es seine Art von Respekt, ein Mädchen zu schlagen? Und selbst wenn du nicht mitgemacht hast und wirklich nur danebenstehst und zusiehst, was nicht wahr ist, dann bist du ebenfalls im Unrecht. Egal, ob es um ein Mädchen geht oder einen Jungen. Wenn fünf Jungs, oder auch nur drei, auf einen losgehen, ihn zu Boden prügeln und das Opfer dann am Boden liegt und weiter heftig getreten wird, dann gehst du doch dazwischen, oder? Dann beendest du das und ziehst die Täter aus ihrer Gewaltorgie. Dann holst du Hilfe. Gerade wenn das Opfer ein Mädchen ist. Was für ein Mann bist du, wenn du nur dabeistehst und zuschaust? Oder noch schlimmer, mitmachst? Wie steht es dann mit deiner Ehre? Was für ein Mann bist du dann?

Die Kinder schauen mich mit großen Augen an. Bevor ich mich umdrehe und gehe, nehme ich ihnen das Versprechen ab, sich zu ändern. Männer mit Ehre zu werden und sich in Zukunft so zu verhalten. Die beiden versprechen mir das. Als wir nach Hause gehen, nimmt Charlotte still meine Hand und grinst ein bisschen.

An die anderen zwei Jungs, die mitgemacht und Charlotte am Ende noch getreten haben, komme ich nicht ran. Ich schreibe SMS und WhatsApp-Nachrichten an deren Mütter und bekomme erst nach Tagen von einer eine Antwort, nachdem ich damit drohe, zur Polizei zu gehen. Ihr Sohn sei gut erzogen und mache so etwas nicht. Sie habe mit ihm gesprochen, Charlotte habe provoziert und lüge. Ich frage sie, ob ich ihr das Protokoll vom Arzt schicken soll. Dass die Verletzungen ja nicht von selbst kommen und dass mehrere Kinder bestätigt hätten, dass ihr Sohn mitgemacht und am Ende sogar noch zugetreten hat. Die Familie ist aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich kann nicht zuordnen, aus welcher Gegend sie sind oder wie lange sie in Deutschland sind. Ihr Deutsch ist allerdings schon sehr gut. Der andere Schläger und Anführer der Gruppe kommt übrigens aus der gleichen Gegend. Ich frage die Mutter, ob das in ihrer Kultur normal ist, dass man Frauen schlägt und am Ende noch einmal reintritt, wenn das Mädchen heulend am Boden liegt und sich schon vor Schmerzen krümmt und die Arme schützend vor sich hält. Es gibt keine Antwort, und die Mutter schweigt. Ich schreibe ihr, dass sie ihren Sohn von meiner Tochter fernhalten soll und dass ich in Zukunft, auch bei anderen Vorfällen mit ihrem Sohn, sofort die Polizei und das Jugendamt einschalten werde. Ich bekomme keine Antwort mehr.

Eine Woche später bringt Charlotte einen Verweis aus der Schule mit. Malek, der Afghane, der dieses Mal nicht dabei war, hatte von der Prügelei gehört und dachte, er könne es jetzt noch einmal bei Charlotte probieren und sie unterdrücken, nachdem sie von den anderen Jungs schon mal weichgemacht wurde. Doch Charlottes Faust landete abermals auf Maleks Nase, und der lag wieder heulend am Boden. Dieses Mal hat die Pausenaufsicht zugesehen, und Charlotte wurde bestraft. Nun versucht die Schulleitung, Charlotte als gewalttätig und provokant darzustellen. Es wird versucht, ihr die Verantwortung für das, was passiert ist, zu geben. Sicher, sie trägt Mitschuld, aber ich wiederhole mich: Fünf Jungs gegen ein Mädchen, mit Tritten, wenn sie weinend am Boden liegt. Das geht gar nicht.

Ich unterschreibe den Verweis resigniert und möchte schriftlich vermerken, dass ich froh bin, dass meine Tochter kein Opfer ist. Dass sie aufgestanden ist und sich weiterhin gegen Angriffe wehrt. Ich bin stolz auf meine Tochter! Mit freundlichen Grüßen, Chris Helmbrecht. Doch das lasse ich lieber.

Einen Tag später sind wir abermals beim Kinderarzt, für eine Nachuntersuchung und eine Impfung. Als wir aus dem Behandlungszimmer kommen, sagt mir Charlotte, dass Luca mit seiner Mutter im Wartezimmer sitzt. Sie hat mir schon vorher erzählt, dass er der Anführer der Gruppe war und ganz besonders hart zugeschlagen hat. Dass er es war, der bis zum Ende auf sie eingetreten hat und danach auf ihre Freundin losgegangen ist, als diese helfen wollte. Ich spreche die Mutter an. Ich versuche abermals, ruhig und sachlich rüberzukommen, obwohl ich innerlich aufgewühlt bin. Die Mutter ist Anfang dreißig. Sie trägt Kleidung teurer Modelabels. Ihr Sohn sitzt im Ralph-Lauren-Polohemd kleinlaut neben ihr. Sie ist die Einzige, von der ich noch nichts gehört habe. Keine Antwort auf meine Nachrichten.

Ich frage, warum sie nicht geantwortet hat. Nun sieht sie mich an. Ich sehe, wie die Wut in ihr steigt und sie ihren Sohn verteidigen will, aber sie sagt, dass sie das alles zum ersten Mal hört und von der Sache nichts weiß. Dann verteidigt sich ihr Sohn selbst. Charlotte lüge, alles sei ganz anders abgelaufen, und sie habe provoziert und sei an allem schuld. Ich bitte die Mutter, mit ihrem Sohn zu reden und dafür zu sorgen, dass das nicht mehr vorkommt. Ich bitte sie, den Medienkonsum ihres Sohnes zu überprüfen. Diese Art von roher Gewalt muss ja irgendwoher kommen. Sie schweigt. Ich drehe mich um und gehe.

Als ich schon fast an der Tür bin, explodiert sie. Sie schreit mich an. Charlotte sei schuld, habe provoziert, und ihr Sohn würde so etwas sowieso nicht machen. Charlotte lüge. Kommt mir mittlerweile bekannt vor. Schon mal gehört. Ich drehe mich um, gehe auf die Frau zu und schaue ihr tief in die Augen. Dann frage ich sie mit ruhiger Stimme: „Ist das normal in eurer Kultur, dass Männer Frauen schlagen? Dass man Frauen noch einmal in die Rippen tritt, wenn sie am Boden liegen? Ist das normal bei euch? Schlägt dein Mann dich auch? Wo hat dein Sohn das her? Wo kommt diese Gewalt her?“ Er sitzt neben ihr und ist eingeschüchtert. Sie ringt nach Worten, hat aber irgendwie nichts entgegenzusetzen. Ich drehe mich um, nehme Charlotte an der Hand und gehe.

Die E-Mail der Schulbehörde am Ende der Ferien war der offizielle Abschluss der Sache für die Schule. Ich habe allen Beteiligten meine Meinung gesagt, aber muss mich fragen, ob sie angekommen ist. Soll ich nun einen Artikel darüber schreiben und das Ganze in der Öffentlichkeit weiterführen? Im Übertrittsjahr braucht die Klasse Ruhe, und ich will nicht noch weiter in Ungnade fallen. Ich unterstelle der Schulleitung und der Klassenleiterin, dass sie nicht genug getan haben. Wenn ich sie nun öffentlich anklage, dann hat das vielleicht negative Konsequenzen für meine Tochter. In Gesprächen stelle ich fest, dass meine Tochter die Sache relativ gut verarbeitet hat und die Verletzungen längst verheilt sind, als das neue Schuljahr beginnt. Also beschließe ich, die Klappe zu halten. Kein Fass aufzumachen, aber das Ganze irgendwann in einem Artikel wie diesem zu verarbeiten. Es geht mir nicht um Rache oder meine Gefühle. Nicht mehr darum, meine Tochter zu beschützen. Es geht mir ganz ehrlich und in erster Linie darum darzustellen, in welcher schlechten Verfassung sich die Grundschule Schrobenhausener Straße befindet. Ich frage mich, wie es immer wieder zu Gewaltausbrüchen an dieser Schule kommen kann. Es geht um die Gemeinschaft im Viertel Laim, aber auch darum, wie der Staat, die Stadt München, das Problem angehen kann. Es geht um Prävention. Charlottes Fall ist nicht der Einzige, und ich fürchte, dass in naher Zukunft noch Schlimmeres an dieser Schule passiert, wenn wir nicht offen darüber reden.

Im neuen Schuljahr werde ich als Klassenelternsprecher bestätigt, obwohl nun vier Eltern (der fünfte Täter war in der Parallelklasse) sicher ein Problem mit mir haben. Die Klassenleiterin ist sichtlich nicht erfreut, dass sie sich nun noch ein Jahr mit mir auseinandersetzen muss. Eine Woche nach der Wahl gibt es eine Videokonferenz der Klassenelternsprecher, des Elternbeirats und der Schulleitung, an der ich teilnehme. Im Programm steht, dass die Schulleitung ihr neues Programm zur „Gewaltprävention“ vorstellt und dass es am Ende eine Frage- und Antwort-Session gibt.

Ich finde es gut, dass man nun wenigstens endlich akzeptiert hat, dass es überhaupt ein Gewaltproblem an der Grundschule Schrobenhausener Straße gibt. Nachdem uns nach einer Stunde Gerede die Schulleitung nun endlich ihr neues Präventionsprogramm vorstellt, bin ich gespannt. Doch die Zeit wird knapp, und man kann das Ganze nur schnell und oberflächlich erklären. Die Schulleitung – und jetzt halten Sie sich fest – arbeitet mit einem „pädagogischen Künstler“ an einer Lösung. Dieser schlägt vor, im nächsten Jahr mit den Kindern auf dem Schulhof eine „Brücke der Begegnung“ zu bauen, über die die Konfliktparteien zusammen laufen müssen. Das Ganze kostet natürlich etwas. Baumaterial und den Künstler muss man ja auch bezahlen. Man hoffe auf die finanzielle Unterstützung der Eltern. Echt jetzt?! Ich bin geschockt.

Die Brücke wurde am Ende der 4. Klasse dann wirklich gebaut, und ich wurde gezwungen, 5 Euro dafür zu bezahlen. In der Frage- und Antwort-Session meldet sich außer mir niemand, und ich werde darauf hingewiesen, dass ich mich kurz halten solle, denn uns renne die Zeit davon. Ich frage, was denn wohl der Grund für die Gewaltausbrüche an der Schule ist. Die Schulleitung antwortet, dass es in ganz Bayern Probleme gibt und dass dies kein spezifisches Problem der Grundschule an der Schrobenhausener Straße sei. Gerade nach COVID seien die Kinder gereizt, und auch zwei Jahre danach gebe es deswegen Gewalt an Bayerns Schulen. Und schon wieder… Echt jetzt?

Sie kennen das Emoji mit den Händen in der Luft? Dieses hier 🤷‍♂️. Ich glaube, das beschreibt recht gut, wie ich mich nun fühle. Danach verabschiedet sich die Schulleitung schnell aus der Videokonferenz, bevor noch mehr unbequeme Fragen kommen.

Ich habe darüber nachgedacht, wo das Problem liegt. Es sind natürlich mehrere Ursachen, und ich versuche in den folgenden und nun abschließenden Absätzen darauf einzugehen. Die Schulleitung, die Schulbehörde und Leser vom Kultusministerium dürfen sich gerne hier schon mal ausklinken und den Kopf wieder in den Sand stecken. Dahin, wo er vorher schon steckte. Meine Meinung scheint dort ja sowieso niemanden zu interessieren.

Laim ist eine bunte Nachbarschaft, und ich meine nicht den Regenbogen, sondern die vielfältigen Kulturen, aber auch sozialen Schichten, die hier aufeinandertreffen. Es gibt sicher „schlimmere“ Viertel in München, aber die Situation in der Grundschule meiner Tochter spiegelt wider, wie es in unserem Viertel aussieht und wie wir selbst miteinander umgehen. Es braucht Leute, die sich um Lösungen kümmern. Es braucht finanzielle Mittel, um gute Lösungen umzusetzen und nicht wieder Brücken der Begegnung zu bauen und damit einen bedürftigen Künstler zu unterstützen. Es braucht das Bewusstsein, dass es ein Problem gibt. Politiker und Beamte, die sich darum kümmern. Zeitgleich braucht es uns, die Eltern und Mitbürger, die sich engagieren und einbringen. Nur dann wird es ruhiger an dieser Schule, in diesem Viertel und in den vielen anderen „Hotspots“ unserer Stadt, des Freistaats und der Republik.

Die Ursachen sind vielschichtig. Wie gesagt, ich habe nachgedacht, und hier ist meine persönliche Analyse zu diesem Thema. Ich bin mir sicher, dass Psychologen und Sozialarbeiter mit Erfahrung auch noch andere Ursachen und bessere Lösungen nennen können, wenn man diese Leute findet, einsetzen und bezahlen kann. Viele der Immigranten in unserem Viertel sind Flüchtlinge. Sie sind vor irgendeinem brutalen Krieg in der Welt hierher geflohen. Sie und ihre Familien tragen die Kriegstraumata mit sich und bringen sie mit nach Deutschland. Malek kommt aus Afghanistan. Wer weiß, was er und seine Familie erlebt und gesehen haben. Die beiden Haupttäter stammen aus Jugoslawien, und ihre Eltern kamen vor über 20 Jahren auf der Flucht vor ihrem grausamen Krieg nach München. Diese Kriegstraumata bleiben Generationen erhalten, wenn man sie nicht therapiert. Na ja, und die drei Kinder aus dem Irak und Syrien, die auch mitgemacht haben, haben sicher auch eine Menge gesehen und erlebt. Dazu kommt, dass der Neustart mit nichts – glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede – in einem neuen Land nicht einfach ist und eine Menge existenzieller Sorgen und Stress mit sich bringt. Das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen in einem Flüchtlingsheim auf engstem Raum tut den Rest. Dazu kommt der übermäßige Medienkonsum, der auch bei deutschen Kindern schon ein Problem ist. Wir Eltern haben gar nicht die Zeit und Energie, um zu überprüfen, was sich unsere Kinder da stundenlang reinziehen und mit wem sie wo und wie im Internet kommunizieren. Und dann wäre da noch die Sprache. Wenn ich mich meinem Gegenüber nicht richtig artikulieren und verständlich machen kann, dann bin ich irgendwann am Ende. Der Frust frisst mich auf, und dann fliegen Fäuste statt Worte.

Charlotte hat den Übertritt auf eine höhere Schule nicht geschafft. Ich kann mir auch nach zwei Jahren in Deutschland noch keine Privatschule leisten. Also geht sie in die Mittelschule nebenan, ebenfalls in der Schrobenhausener Straße. Die schreibt sich auf die Fahnen, dass „Vielfalt ihre Stärke ist“. Auch hier ist der Ausländeranteil sehr hoch. Ein befreundeter Vater, dessen Tochter schon seit einem Jahr auf diese Schule geht, meinte jedoch, dass der Schulleiter sehr strikt ist und die Schule besser im Griff hat als das bei der Grundschule nebenan der Fall ist. Malek ist ebenfalls an dieser Schule, aber Gott sei Dank in einer anderen Klasse. Der Araber und der Kurde aus der Flüchtlingsunterkunft sind nun freundlich und beschützen Charlotte sogar respektvoll und fürsorglich. Meine Worte sind bei ihnen anscheinend auf fruchtbaren Boden gefallen. Von den anderen drei Mittätern habe ich nichts mehr gehört. Malek versuchte im neuen Schuljahr und in der neuen Schule allerdings schon wieder, Charlotte mit Gewalt zu unterdrücken. Sie antwortete gestern mit einem Tritt und wurde prompt von einer Lehrerin verwarnt und belehrt, dass Gewalt keine Antwort auf Gewalt ist. Wenigstens hat die Lehrerin hingesehen und reagiert. Das ist ja schon mal etwas.

Aber wenn dir einer auf die eine Backe haut, dann halte ihm auch die andere hin, ist in Maleks Fall ganz sicher nicht die richtige Antwort. Wurde beim Übertritt ein Übergabeprotokoll oder Gespräch zwischen der Grundschule und der Mittelschule in Sachen Malek und ADHS gemacht, oder müssen die Lehrer dort wieder ganz von vorne anfangen? Ich habe den Eindruck, dass sie nicht über Malek informiert sind.

Ich habe Charlotte geraten, Malek mit einem gezielten Schlag auf die Nase flachzulegen, und ihr versprochen, dass ich mich danach um die schulischen Konsequenzen kümmere. Natürlich ist das keine Lösung, aber meine Tochter ist kein Opfer und wird auch keins werden. Ich finde es armseelig und bestürzend, dass das bayrische Schulsystem nicht in der Lage ist diese Probleme zu lösen.

In diesem Sinne, bis bald. Es gibt sicher in Zukunft wieder mehr zu berichten.

Ihr Chris Helmbrecht.

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