Mann mit Syrischer Flagge

Syrien am Scheideweg: Die Gesichter und Kräfte, die seine ungewisse Zukunft prägen

Syrien steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Mit Akteuren wie Abu Mohammad al-Julani von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und dem Übergangspräsidenten Mohammed al-Bashir an der Spitze bleibt die Zukunft des Landes ungewiss. Julanis Vergangenheit als al-Qaida-Verbündeter steht im Kontrast zu seinen aktuellen Bemühungen, HTS als legitime Kraft zu positionieren, während Bashirs Aufstieg als Kompromisskandidat Zweifel an seiner Fähigkeit aufwirft, das Land zu einen. Die Parallelen zu Libyens anhaltender Instabilität mahnen eindringlich vor den Gefahren der Fragmentierung, während regionale und globale Mächte um Einfluss ringen. Kann Syrien seine Spaltungen überwinden, oder droht ein weiterer Zerfall?

Die jüngsten Entwicklungen in Syrien haben zwei zentrale Figuren ins Rampenlicht gerückt: Abu Mohammad al-Julani, den Anführer von Hayat Tahrir al-Sham (HTS), und Mohammed al-Bashir, den neuen Übergangspräsidenten des Landes. Während die Welt gespannt auf das Schicksal Syriens blickt, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Akteure, die nun das Land in eine ungewisse Zukunft führen sollen.

Abu Mohammad al-Julani: Vom Dschihadisten zum politischen Führer?

Abu Mohammad al-Julani, geboren als Ahmed Hussein al-Shar’a, stammt aus dem von Israel besetzten Gebiet der Golanhöhen. Seine Herkunft aus dieser geopolitisch sensiblen Region dürfte seine politischen und ideologischen Überzeugungen geprägt haben, insbesondere seine kritische Haltung gegenüber Israel.

Julanis Karriere begann mit seiner Verbindung zu al-Qaida im Irak unter Abu Musab al-Zarqawi. Später wurde er Anführer der al-Nusra-Front, des syrischen Zweigs von al-Qaida. 2016 distanzierte er sich offiziell von al-Qaida und gründete Hayat Tahrir al-Sham (HTS), das sich als eigenständige Rebellengruppe präsentierte. Diese strategische Trennung wurde weithin als Versuch gewertet, sich als moderater und akzeptabler Akteur für internationale Verhandlungen zu positionieren.

Wer unterstützt HTS?

HTS gilt als gut organisiert und militärisch schlagkräftig. Es wird vermutet, dass private Geldgeber aus Katar die Gruppe in der Vergangenheit unterstützt haben. Die katarische Regierung bestreitet jedoch jegliche offizielle Unterstützung. Saudi-Arabien hingegen hat keine dokumentierten Kontakte zu HTS und steht der Gruppe kritisch gegenüber, da sie einst al-Qaida nahestand.

Die Türkei hat mit HTS kooperiert, insbesondere in der strategisch wichtigen Provinz Idlib. Ankara verfolgt dabei eigene Interessen, darunter die Sicherung seiner Grenzen und die Verhinderung eines kurdischen Staates in Nordsyrien. Gleichzeitig versucht die Türkei, HTS als möglichen Verbündeten gegen den Einfluss des Iran und die kurdischen YPG-Milizen zu nutzen.

Mohammed al-Bashir: Ein unbeschriebenes Blatt

Über Mohammed al-Bashir ist wenig bekannt. Sein plötzlicher Aufstieg zum Übergangspräsidenten hat Fragen über seine Legitimität und Fähigkeit aufgeworfen, das Land zu führen. Bashir wird als Kompromisskandidat zwischen den verschiedenen Fraktionen gesehen, doch ob er stark genug ist, die zahlreichen Herausforderungen Syriens zu meistern, bleibt abzuwarten.

Religiöse Spannungen und regionale Dynamiken

Sowohl Julani als auch Bashir sind Sunniten. Die religiösen Spannungen zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit, einschließlich der Alawiten, sind eine der zentralen Konfliktlinien in Syrien. Der Iran, ein enger Verbündeter des gestürzten Assad-Regimes, dürfte wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit der neuen sunnitischen Führung haben.

Israel beobachtet die Entwicklungen in Syrien mit Argwohn. Julanis Vergangenheit bei al-Qaida und seine Herkunft aus den Golanhöhen dürften wenig dazu beitragen, Spannungen abzubauen. Gleichzeitig könnte HTS als Gegengewicht zum Iran betrachtet werden, was Israel vor ein strategisches Dilemma stellt.

Die Rolle der Kurden

Die kurdischen Kräfte, insbesondere die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), kontrollieren weiterhin große Gebiete im Norden Syriens. Ihre Beziehungen zu HTS sind gespannt, und ein Konflikt scheint wahrscheinlich. Die Türkei, ein entschiedener Gegner der kurdischen Autonomie, könnte diesen Konflikt ausnutzen, um die Kurden weiter zu schwächen.

Gräueltaten und Glaubwürdigkeit

HTS steht in der Kritik, in der Vergangenheit Gräueltaten begangen zu haben, darunter außergerichtliche Hinrichtungen und die Unterdrückung von Minderheiten. Julanis Bemühungen, sich als gemäßigter Führer zu präsentieren, werden durch diese Berichte erheblich geschwächt. Viele Beobachter zweifeln daran, dass HTS tatsächlich in der Lage ist, ein freies und stabiles Syrien zu schaffen.

Militärische Stärke und finanzielle Unterstützung

HTS gilt als die am besten ausgerüstete Rebellengruppe in Syrien, mit schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Kämpfern. Neben der Türkei und privaten Geldgebern haben unbestätigte Berichte auf Unterstützung aus anderen sunnitischen Ländern hingewiesen, die ein Gegengewicht zum schiitischen Iran schaffen wollen. Die SDF und andere Gruppen, darunter kleinere sunnitische Milizen, verfügen über deutlich weniger Ressourcen, was HTS einen strategischen Vorteil verschafft.

Zukünftige Szenarien

Die Zukunft Syriens ist von Unsicherheiten geprägt. Drei Szenarien scheinen möglich:

1.Einheit unter HTS: HTS könnte die Macht konsolidieren und versuchen, ein sunnitisch geführtes Syrien zu schaffen. Dies würde jedoch enorme Herausforderungen mit sich bringen, darunter die Integration der Kurden und die Bewältigung internationaler Spannungen.

2.Anhaltende Fragmentierung: Syrien könnte weiterhin in verschiedene Einflusszonen aufgeteilt bleiben, mit HTS, den Kurden, der Türkei und anderen Akteuren, die um Kontrolle kämpfen.

3.Ein neuer Bürgerkrieg: Die Vielzahl an Interessen und Akteuren könnte zu einem erneuten Bürgerkrieg führen, insbesondere wenn externe Mächte ihre Unterstützung für rivalisierende Gruppen intensivieren.

Ein Land am Scheideweg

Syrien steht an einem historischen Wendepunkt. Ob Julani und Bashir in der Lage sind, das Land zu stabilisieren und den Wiederaufbau zu beginnen, bleibt fraglich. Internationale Unterstützung wird entscheidend sein, doch das Vertrauen in die neue Führung ist gering. Das Schicksal Syriens wird nicht nur von internen Dynamiken, sondern auch von regionalen und globalen Interessen bestimmt. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Syrien ein neues Kapitel aufschlagen kann oder weiterhin im Strudel von Konflikten und Instabilität verharren wird.

Ein Vergleich mit Libyen drängt sich auf. Nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi ist das Land in ein Machtvakuum gefallen, das bis heute nicht gefüllt werden konnte. Rivalisierende Milizen, internationale Einmischungen und ein zersplittertes politisches System haben dazu geführt, dass Libyen seit Jahren im Chaos versinkt. Ein ähnliches Szenario droht in Syrien. Regionale Akteure wie die Türkei, Katar, Saudi-Arabien und der Iran verfolgen unterschiedliche, oft gegensätzliche Interessen. Jede dieser Mächte unterstützt eigene Fraktionen, was die ohnehin komplexe Lage weiter verkompliziert.

Die Parallelen zu Libyen zeigen auch, wie gefährlich internationale Interessen sein können, wenn sie nationale Einigungen blockieren. Der syrische Konflikt wird nicht in Isolation gelöst werden. Die Rolle globaler Mächte wie der USA, Russlands und Chinas wird ebenfalls eine entscheidende sein. Russland, das Assad lange unterstützt hat, könnte seine Strategie überdenken und versuchen, seinen Einfluss über neue Allianzen mit Akteuren wie HTS zu sichern. Die USA könnten ebenfalls verstärkt eingreifen, insbesondere wenn es um den Schutz der kurdischen Verbündeten geht.

Für Mohammed al-Bashir bedeutet das, dass er nicht nur innerhalb Syriens zahlreiche Interessensgruppen vereinen muss, sondern auch mit externem Druck umgehen muss. Seine politische Unerfahrenheit könnte sich dabei als Hindernis erweisen. Wie viel Macht er tatsächlich hat, bleibt unklar, zumal HTS weiterhin die dominierende militärische Kraft im Land ist.

Was bedeutet das für die syrische Bevölkerung?

Für die Menschen in Syrien, die bereits über ein Jahrzehnt unter Krieg und Entbehrung gelitten haben, gibt es derzeit wenig Hoffnung. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, die Infrastruktur liegt in Trümmern, und Millionen von Syrern leben weiterhin als Flüchtlinge im Ausland. Der Wiederaufbau wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, und ohne eine stabile Führung wird Syrien kaum in der Lage sein, die internationale Unterstützung zu mobilisieren, die dafür notwendig ist.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Dennoch bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer. Sollten Bashir und Julani tatsächlich einen inklusiveren Ansatz verfolgen und es schaffen, interne und externe Akteure an einen Tisch zu bringen, könnte Syrien eine Chance auf Stabilität haben. Dies erfordert jedoch enorme Anstrengungen, einen klaren politischen Willen und die Bereitschaft, alte Feindschaften zu überwinden. Ob das realistisch ist, bleibt fraglich, aber es ist die einzige echte Alternative zu weiterer Zerstörung und Leid.

Foto: Bild von un-perfekt auf Pixabay

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